HER2-positiver Brustkrebs und Antikörpertherapie

Prof. Dr. Beat Thürlimann über die Behandlung von aggressivem Brustkrebs

Frau auf Hängebrücke, Herbst_HER2

HER2-positiver Brustkrebs gilt als sehr aggressiv. Allerdings spricht diese Krebsart gut auf eine zielgerichtete Therapie an, die meist Chemotherapie und Antikörpertherapie verbindet. Bei letzterer spielen die anti-HER2-Antikörper und die anti-HER3-Antikörper eine zentrale Rolle. Dank der Entwicklung dieser zielgerichteten Therapieoptionen hat sich die Prognose für betroffene Frauen deutlich verbessert.

Herr Prof. Dr. Thürlimann, wie wird HER2-positiver Brustkrebs behandelt?

Wir verfügen heute über eine zielgerichtete Therapie. Wir müssen allerdings genau wissen, ob es sich bei einem Mammakarzinom um einen HER2-positiven Brustkrebs handelt oder nicht. Dafür gibt es entsprechende Tests, die mit weit über 90 prozentiger Sicherheit die Frauen identifiziert, die von so einer Behandlung profitieren können gegenüber denen, die davon nicht profitieren würden.

Diese zielgerichtete Therapie basiert auf der Entwicklung von spezifischen Antikörpern.

Die erste Therapie dieser Art war die anti-HER2-Antikörpertherapie. Im Einsatz mit der Chemotherapie war der Antikörper in der Behandlung dieser aggressiven Tumore ein Erfolg, den es so in der Onkologie noch nicht gegeben hatte. Es zeigte sich, dass man mit dem anti-HER2-Antikörper die Rückfallrate halbieren kann.

Die Antikörper sind nicht nur sehr wirksam, sondern auch gut verträglich. Das liegt daran, dass sie nur auf die Tumorzelle wirken, weil eben nur diese das entscheidende Rezeptormerkmal trägt. Deshalb ist die Nebenwirkung auf andere Gewebe klein.

Welche Bedeutung hat die Behandlung mit anti-HER3-Antikörpern?

HER2-positiver Brustkrebs wird inzwischen umfassend vor der operativen Entfernung des Tumors behandelt. Als neoadjuvante Therapie – also Behandlungsmassnahmen, die vor der Operation durchgeführt werden – wird zusätzlich zur Chemotherapie mit anti-HER2-Antikörpern und anti-HER3-Antikörpern behandelt.

Die Zugabe des anti-HER3-Antikörpers zum anti-HER2-Antikörper hat bei der fortgeschrittenen Krankheit einen viel grösseren Nutzen. Die Tumorkontrolle wird um fast 50 Prozent erhöht, nämlich von zwölf auf 18 Monate. Der anti-HER3-Antikörper wird ebenfalls sehr gut vertragen, auch in Kombination mit dem anti-HER2-Antikörper. Dies ist wieder ein deutlicher Schritt nach vorn in der Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs.

Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Die neuen Medikamente erfordern wie alle typischen Krebsmedikamente einen professionellen Umgang, das heisst, dass nur in der entsprechenden Therapie erfahrene Ärzte und Pflegefachpersonen die Behandlung und deren Steuerung vornehmen sollten. Diese Medikamente sind körperfremde Eiweisse und können nicht selten akute und subakute Unverträglichkeitsreaktionen wie beispielsweise Schüttelfrost, Fieber, Atemnot, Blutdruckabfall bis zu Kreislaufkollaps hervorrufen. Entsprechende Vorsichtsmassnahmen sind also angezeigt, ebenso die adäquate Überwachung der Herzpumpfunktion und weiterer Organfunktionen. Bei deren Beachtung wird die Therapie aber üblicherweise gut vertragen, sicher besser als die meisten anderen konventionellen Krebstherapien.

Wie wird HER2-positiver Brustkrebs nach der Operation behandelt?

In der adjuvanten Situation – als nach der Operation – ist gegenwärtig der Standard Chemotherapie plus anti-HER2-Antikörper über einen Zeitraum von zwölf Monaten. Das ist unbestritten. Es wurden übrigens auch Zeiträume von sechs und 24 Monaten geprüft.

Welche weiteren Entwicklungen zeichnen sich ab?

Es ist ein neuer Antikörper mit einem weiteren Molekül entwickelt worden. Man spricht dabei von einem sogenannten ‹Smart Weapon› – einer klugen Waffe.

Was ist das Geheimnis dieser ‹smarten Waffe›?

Es handelt es sich um den anti-HER2-Antikörper mit einem Verbindungsmolekül. Daran angehängt ist ein Chemotherapeutikum. Der anti-HER2-Antikörper transportiert nun das Chemotherapeutikum genau in die Zelle, die viele HER2-Rezeptoren hat. Quasi wie ein trojanisches Pferd. So hat man die Möglichkeit, ein sehr toxisches Molekül zu verwenden. Und dennoch ist es viel besser verträglich als eine Chemotherapie plus anti-HER2-Antikörper.

Wohin entwickelt sich die Behandlung von HER2-positven Brustkrebs?

Die Frage ist: Wenn wir immer bessere Antikörpertherapien haben, wo werden wir dann die Chemotherapie noch brauchen? Auf lange Sicht wird sie wohl noch nötig sein, aber vermutlich nicht bei allen Patientinnen als Erstes.

Vielen Dank für das Gespräch.
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