«Jeder muss seinen eigenen Weg suchen»

Nach acht Jahren war der Krebs bei Rosemarie Graf plötzlich wieder da

«Mein Mann sagt immer, ich sei die grösste Schauspielerin», sagt Rosemarie Graf*. «Man sieht mir einfach nie an, wie es mir wirklich geht. Alle sagen, ich sähe immer so frisch aus, obwohl ich große Schmerzen habe. Es gibt Leute, die glauben mir gar nicht, was ich alles habe.» Fast wirkt sie selber überrascht. Und ein bisschen stolz, wozu sie auch allen Grund hat. Denn diese Frau hat bereits einen langen Weg mit dem Krebs erlebt und dabei sehr viel Kraft eingesetzt.

Es war natürlich ein großer Schock, dass der Krebs vor einem halben Jahr wieder da war. Nach acht Jahren. Selbst ihre Ärztin war erschüttert, denn es hatte trotz der regelmäßigen Kontrollen keine Hinweise darauf gegeben.

«Ich akzeptiere den Rückfall»

Die Diagnose: Metastasen am Schädel, am Ohr, am Brustbein und im ganzen unteren Bereich der Wirbelsäule. Daran gibt es nichts zu beschönigen: «Immer wieder sagen die Ärzte: So eine grosse Ausdehnung ohne Vorankündigung ist sehr selten», erzählt Rosemarie Graf. Doch sie wird auch diesmal nicht aufgeben: «Ich akzeptiere den Rückfall. Ich genieße jeden Tag soweit es geht. Wenn man resigniert, hat man verloren», sagt sie eindringlich. Erst wurde jetzt wieder bestrahlt, dann kam erneut eine Chemotherapie: «Nach der ersten Chemotherapie 2006 gingen mir ja schon mal die Haare aus. Das war schlimm für mich. Aber diesmal ist es für mich das kleinste Detail.»

«Der Freundeskreis wurde kleiner»

Ihr Mann steht auch heute fest an der Seite seiner Frau. Nicht alle Freunde konnten das. Schon nach der Erstdiagnose wurde der Freundeskreis immer kleiner. «Sie meinen es nicht bös, sind wohl überfordert», versteht Rosemarie Graf. Weh tut es trotzdem: «Man kann doch ganz normal damit umgehen.» Gern hätte sie weitergearbeitet, doch ihr fehlte schon 2006 die Kraft. Damals hatte die Bürokauffrau gerade die Police für eine Arbeitsunfähigkeitsversicherung unterschrieben – doch vor Ablauf der 30-Tage-Frist kam die Erstdiagnose. «Die Versicherung hat sich dann schön gedrückt.»

«Ich ging allein zur Besprechung»

Sie hatte 2006 einen dicken Knoten unterhalb des Schlüsselbeins am Ansatz der Brust gespürt und ging erst zu ihrer Hausärztin. Nach der Biopsieentnahme musste sie zwei Wochen auf das Ergebnis warten. Mit Krebs hätte sie nie gerechnet, als sie allein zur Besprechung der Diagnose ging: «Es war sehr schwierig, gerade weil ich niemanden dabei hatte», weiß Rosemarie Graf heute. Der Krebs war schon sehr fortgeschritten. «Um den Tumor in der Brust und seine Absiedelungen in den Lymphknoten in der Achselhöhle erst einmal zu verkleinern, wurde vor der Operation eine Chemotherapie durchgeführt. Man nennt dieses Vorgehen eine neoadjuvante Chemotherapie. Es folgte dann eine brusterhaltende Operation mit anschließender Strahlentherapie», erklärt Dr. Nik Hauser, Chefarzt der Frauenklinik am Kantonsspital Baden und Leiter des zertifizierten Brustzentrums. In vielen der entfernten Lymphknoten wurden Absiedelungen des Brustkrebses gefunden und man musste davon ausgehen, dass auch noch weitere befallene Lymphknoten innerhalb des Brustkorbs vorhanden waren. «Den ursprünglichen Knoten spüre ich heute immer noch», sagt Rosemarie Graf. «Psychisch ist das schwierig für mich, denn er steht ja symbolisch für den Anfang der ganzen Geschichte.»

«Ich spritze mir ein Mistelextrakt»

Neben der Schulmedizin hilft der Bürokauffrau auch die Naturheilkunde. Von Anfang an machte sie eine Misteltherapie. Dabei wird ein spezielles Mistel-Konzentrat hergestellt, das auf die Krebsart und den Krankheitsverlauf abgestimmt wird. Mistelgewächse sollen über die Aktivierung der körpereigenen Immunabwehr das Wachstum von Krebszellen hemmen. Sie hatte ihre Ärztin von sich aus darauf angesprochen: «Sie sagte, ich solle das unbedingt machen und unterstützte mich, diese ergänzende Therapie durchzuführen. Und ich habe das Gefühl, es hilft.»

«Helfen tut gut»

«Wissen Sie, wer jetzt mein bester Therapeut ist?», fragt Rosemarie Graf. «Mein Labradormischling Leonie.» Als sie ihren ersten Hund vor drei Jahren einschläfern lassen musste, wollte sie sofort wieder einen haben. Keine Woche hat es gedauert. Ein zweieinhalbjähriger Welpe aus dem Tierheim. Leonie war vorher nie draußen gewesen, hatte in einem Keller leben müssen. «Bei unserem ersten Spaziergang im Wald hörte sie eine Grille. Leonie blieb stehen und zitterte», erinnert sich Rosemarie Graf. «Es tut gut, einem anderen Wesen helfen zu können.»

Ihr Ziel ist nun, jeden Morgen mindestens eine Stunde mit ihrer Hündin spazieren zu gehen: «Das tut uns beiden gut. Weil ich Probleme mit dem Rücken habe, muss ich auf dem Weg zwischendurch immer mal stehen bleiben. Aber ich richte es einfach ein, dass es geht.» So tut Rosemarie Graf alles, um trotz der Krankheit das Leben genießen zu können. Denn sie weiß: «Jeder muss Verantwortung für sich übernehmen und seinen Weg selber suchen.»

*Name von der Redaktion geändert.

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